Die Tessiner Dialekte sind seit jeher ein Mysterium, da sie im Alltag von Tessinerinnen und Tessinern nur wenig präsent sind. Doch wollen wir das Türchen zu diesem Geheimnis einen Spalt weit aufmachen.
Sommer, Sonne, Sonnenschein – so kennen die meisten Schweizerinnen und Schweizer das Tessin. Die Sonnenstube der Schweiz betört mit ihrem südländischen Flair, wozu auch das dort gesprochene Italienisch beiträgt. Aber im Tessin wird nicht nur reines Italienisch gesprochen. Ähnlich wie bei den Deutschschweizerinnen und Deutschschweizern – von den Tessinern liebevoll «Zucchini» genannt – nennt das Tessin eine Vielzahl an alteingesessenen Dialekten sein Eigen, welche von Dorf zu Dorf verschieden sind. Diese gehören zur lombardischen Dialektfamilie und werden im Kanton Tessin und in den vier Südtälern des Kantons Graubünden (Puschlav, Bergell, Misox, Calancatal und im nördlich des Julierpasses gelegenen Bivio) gesprochen.
Jedoch sucht diese linguistische Vielfalt eine traurige Realität heim. Seit Jahrzehnten befinden sich die Dialekte stark im Rückgang und räumen den Platz für das Standard-Italienisch. Genauer gesagt dem toskanischen Italienisch, das sich im Mittelalter gegenüber dem Lateinischen und anderen italienischen Dialekten durchsetzte und allmählich als Hochsprache akzeptiert wurde. Das langsame Verschwinden der Dialekte nahm seinen Lauf im 19. Jahrhundert, als sich mit der Migration zunehmend das Italienische als Lingua Franca im Tessin verbreitete. Dies hatte zur Folge, dass die dort ansässigen italienischen Dialekte, einst um die sage und schreibe 300, arg in Missgunst gerieten und beispielsweise in der Schule und in der Kirche verboten wurden. Dass sie nicht komplett verschwanden, lag daran, dass die Dialekte nichtsdestotrotz und gleich der Sturheit von Galileo Galilei («Und sie bewegt sich doch!») im privaten Bereich weiterhin gesprochen wurden. Heute sprechen etwa 30 Prozent der Bevölkerung einen italienischen Dialekt, Tendenz abnehmend.
Die Tessiner Dialekte unterscheiden sich teilweise stark vom Standard-Italienischen. So enthalten die Dialekte Ös und Üs – im Standard-Italienischen undenkbar. Ihr Ursprung findet sich in den galloitalischen Sprachen, die wiederum vom Keltischen abstammen und daher mit Französisch verwandt sind – (nein, wir machen hier leider keinen Ausflug ins gallische Dorf von Asterix und Obelix, wir sind hier in Italien). Beispielsweise wird wie im Französischen das Wort «Cör» für «Herz» benutzt, wenn auch anders geschrieben. Genauso verhält es sich mit «mür» für «reif».
Dialekt oder Nicht-Dialekt: Italienisch hat in der Schweiz einen schweren Stand. In vielen Kantonen wird in der Schule eher Englisch und Französisch priorisiert. Italienisch, seines Zeichens Sprache der Liebe, wird leider nicht so viel Liebe geschenkt. Nicht so bei ITSA: Italienisch gehört neben Französisch und Englisch zu den häufigsten Fremdsprachen, in die wir übersetzen. Und wenn es nach uns ginge, soll das auch noch lange so bleiben! Die Würfel sind noch nicht gefallen!