Parlez-vous Patois?

Oder anders formuliert: «Sprechen Sie Frankoprovenzalisch?». Denn Patois beschreibt verschiedene Dialekte der französischen Sprache, worunter ein Teil in die Familie des Frankoprovenzalischen fällt. Dieses wird im Piemont zwischen dem Sangonetal und dem Soanatal, im gesamten Aostatal sowie in Zentralost-Frankreich und der Westschweiz gesprochen. In diesem Artikel wollen wir einmal mehr entdecken, ob und wie die Deutschschweizer Liebe zum Dialekt auch in der Westschweiz gepflegt wird.

Die traurige Realität vorweg, kurz und schmerzlos: In der Westschweiz wurde Patois bis ins 19. Jahrhundert verwendet, bis es schliesslich vom Hochfranzösischen verdrängt wurde. Schuld daran war die Einführung des Buchdrucks und die Reformation der Kirche vor 400 Jahren. Die Bibel wurde in die Sprache der Eliten aus Nordfrankreich übersetzt und verbreitet. Von Paris aus begann eine regelrechte Hexenjagd auf alle Dialektvariationen, um das Französisch zu vereinheitlichen und rein zu halten. Im selben Atemzug wurde dadurch die vorrangige gesellschaftliche Stellung des Hochfranzösischen propagiert, das mit dem Bild einer wirtschaftlich prosperierenden und modernen Gesellschaft einhergehen sollte. Patois, das vor allem im ländlichen Bereich gesprochen wurde, galt in diesem Sinne als rückständig und gebührte nicht einer gebildeten Gesellschaft. Die Massnahmen, um dieses Bild einer solchen Gesellschaft voranzutreiben, waren so drastisch, dass mit dem Schulgesetz von 1806 im Kanton Waadt das Patois im Unterricht verboten wurde. Weiter trug auch die Industrialisierung zum Rückgang des Patois bei. Viele Menschen zogen in die Ballungsräume, wodurch sich die Bevölkerung vermischte und die Sprache vereinheitlicht wurde.

Vive le Patois!

Die komplette Ausrottung gelang jedoch bis heute nicht. Das Patois hielt sich hartnäckig, wenn auch nur in geringer Zahl. Das meiste Patois wird noch im Wallis mit weniger als 6 Prozent und im Kanton Freiburg mit weniger als 4 Prozent Sprechern gesprochen. Insbesondere das «Patois d’Evolène» konnte sich allen Widerständen zum Trotz im Walliser Val d’Hérens etablieren. Zur Rettung des Patois trug einerseits dessen Verankerung in der 1976 redigierten jurassischen Verfassung und andererseits die Bemühungen der Fédération romande et interregionale des patoisants bei. Seit 1924 entstand zudem ein äusserst umfangreiches Glossar «Glossaire des patois de la Suisse romande». Aber nicht nur das -und überhaupt, was heisst denn da «nur»? Übrig geblieben sind auch einige kulturelle Leckerbissen, wie das Lied «Ranz des Vaches». Es handelt von einem Sennen, der seine Kühe zum Melken ruft. Das Patois als Kulturgut wird aber auch in den Kantonen Freiburg und Wallis in Form von Theaterstücken gepflegt, die sich grosser Beliebtheit erfreuen.

 Der kleine Rebell: Der Kanton Jura

Der Kanton Jura zeigt sich in diesem Narrativ als Aussenseiter (Vive la révolution!). Denn der Kanton Jura pflegt ein Patois, das nicht zum Frankoprovenzalischen gehört, sondern zur nordfranzösischen Sprachgruppe der Langue d’oïl. Leider gibt es auch hier nur etwa 3 Prozent, die die Sprache noch verwenden.

Unser kleiner aber feiner Beitrag

Wir sind uns bewusst, dass wir bei ITSA, ausser unserem Wohlwollen gegenüber dem Patois, nicht viel zu dessen Erhalt beitragen, schlagen wir doch mit unserem Standardfranzösisch in dieselbe Bresche wie die Pariser Elite. Aber uns geht es vor allem um die reibungslose Kommunikation zwischen den Landesteilen, und in der Hinsicht sind wir mit Patois schlecht bedient. Wenn Sie jedoch unseren Westschweizer Mitbürgerinnen und Mitbürgern das Verstehen Ihrer Texte ermöglichen wollen, sind wir Ihnen gerne behilflich. Vielleicht nimmt sich dann jemand unserer Übersetzung an und übersetzt sie ins Patois. Möglicherweise tragen wir also doch zu dessen Erhalt bei. Die Hoffnung stirbt zuletzt!